Wie sexy sind eigentlich Finanzen?
Nein, Jubelgesänge waren in der SPD nicht zu hören, als ihr in den Koalitionsverhandlungen mit der Union das Finanzministerium zufiel. Schließlich birgt das Thema Staatsfinanzen das größte Konfliktpotenzial für Rot-Schwarz. Der Finanzminister wird tiefe Einschnitte in die Besitzstände der Deutschen vornehmen müssen, um den Bundeshaushalt langfristig auf sichere Füße zu stellen. Und die Partei des Finanzministers, die es bei der Bundestagswahl 2005 geschafft hat, aus der Regierung heraus einen Oppositionswahlkampf zu führen, wird dies mittragen müssen.
Es wird Streit geben. Zwangsläufig
Es wird Streit geben, zwangsläufig, zwischen einem sparsamen Finanzministerium und anderen Ressorts, die um „ihr“ Geld kämpfen. Die Medien werden schreiben, die SPD sei entzweit, weil auch sozialdemokratische Minister mit dem Finanzminister ringen. Hätte sich die SPD nicht mit offenkundig eher nach Zukunft riechenden Ressorts wie Bildung oder Familie weit besser profilieren können? Nicht unbedingt. Das Finanzministerium ist eine große Chance, die wir Sozialdemokraten nutzen sollten. Wenn schon das Kanzleramt in der Hand der Union ist, dann muss das einzig verbleibende Generalressort zur Steuerung der Regierung von der SPD geführt werden. Durch die fachliche Spiegelung der Ministerien im Finanzressort entsteht unverzichtbares Wissen, durch die Mitsprache – ja das Vetorecht – bei der Aufstellung des Haushalts ein enormer Gestaltungsrahmen. Soweit die Machttechnik.
Vor sechs Jahren begann die rot-grüne Bundesregierung unter Finanzminister Hans Eichel, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Bald stieg der „Eiserne Hans“ zu einem der beliebtesten Politiker der Republik auf. In Umfragen schrieben die Menschen den vermeintlich „verschwenderischen Sozis“ in der Haushalts- und Finanzpolitik auf einmal größere Kompetenz zu als der Union. Dieses Politikfeld erreichte einen derartig hohen Stellenwert, weil Wort und Tat damals eine glaubwürdige Einheit bildeten.
Mittlerweile ist die Stimmung gekippt. Von dem ursprünglichen Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne Neuverschuldung, wie er für 2006 angekündigt war, sind wir weit entfernt. Mit einem Haushalt, in dem die Zinszahlungen nach den Sozialausgaben den zweitgrößten Ausgabeposten bilden, riskiert die größte europäische Volkswirtschaft nicht weniger als ihre Zukunftsfähigkeit. Durch eine Veränderung der Kreditmarktzinsen oder eine Neubewertung der Bonität droht sich das Zinsrisiko sogar noch zu verschärfen.
Konsolidierung unter heutigen Bedingungen?
Die explizite Staatsverschuldung beläuft sich momentan auf rund 1.400 Milliarden Euro. Nicht eingerechnet ist dabei die so genannte implizite Verschuldung, die auch Verbindlichkeiten des Staates aus öffentlichen Leistungen wie Pensionen, Renten oder Pflege- und Gesundheitsleistungen erfasst. Die Höhe dieser Ausgaben, die besonders stark vom demografischen Wandel betroffen sind, ist schwer zu beziffern. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat die implizite Verschuldung für 2002 mit 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angegeben. Zusammen mit der expliziten Verschuldung liegt die Gesamtbelastung danach bei 330 Prozent des BIP.
Zu Recht wurde deshalb in den Koalitionsverhandlungen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte als die wichtigste Aufgabe der neuen Regierung beschrieben. Wie aber ist diese Konsolidierung unter den heutigen Bedingungen zu erreichen? Da die demografische Entwicklung den finanziellen Druck auf die öffentlichen Haushalte weiter verstärkt und somit die Handlungsfreiheit künftiger Generationen beschränkt, muss eine verantwortliche Haushaltspolitik langfristige Ziele festlegen und Strategien definieren.
Der Staat als handlungsfähiger Akteur
Aus sozialdemokratischer Sicht muss der Staat ein in jeder Hinsicht handlungsfähiger Akteur sein. Zur Absicherung seiner Handlungsfähigkeit bedarf er einer entsprechenden finanziellen Ausstattung, die in der Regel über Steuern abgesichert wird. Die Steuerquote in Deutschland ist unter Rot-Grün jedoch auf ein historisches Tief von rund 20 Prozent gesunken. Der gewünschte Effekt – eine höhere Nachfrage – ist allerdings ausgeblieben.
Um für die staatliche Handlungsfähigkeit finanziellen Spielraum zurückzugewinnen, benötigen wir wieder mehr Einnahmen. Dies erreichen wir entweder über die Erhöhung der nominalen Steuersätze oder durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Dabei muss transparent sein, welche Einkünfte die Basis der Steuerpflicht begründen. Anders als von der CDU propagiert, lehnen wir die Gleichbehandlung von Einkommensunterschieden zwischen den Steuerzahlern durch eine Flat Tax ab. Weil starke Schultern mehr tragen können als schwache, stehen wir zur progressiven Besteuerung von Arbeitseinkünften und zu einem Aufschlag für Angehörige der obersten Einkommensklasse.
Bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen müssen wir angesichts des internationalen Standortwettbewerbs und der globalen Beweglichkeit von Kapital zu differenzierten Ansätzen kommen. Mit einem einheitlichen Unternehmenssteuersatz von 19 Prozent könnte Deutschland aus der Spitzengruppe ins Mittelfeld zurückkehren – und dort seine Standortvorteile ausbauen. Dies gilt zumindest, bis eine Harmonisierung der Besteuerung in der EU abgeschlossen ist. Die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 bietet dafür Gelegenheit.
Zur Erhöhung des Steueraufkommens müssen zunächst zahlreiche Ausnahmetatbestände abgeschafft werden, so dass die tatsächlichen Abführungen auch wieder der nominalen Belastung entsprechen und sich die großen Unternehmen nicht durch allerlei Tricks von ihrer Steuerpflicht befreien, während kleinere Handwerks- und Gewerbebetriebe hierzu kaum Möglichkeiten haben. Zusätzlich müssen Gewinne aus Spekulations- und Aktiengeschäften – also aus unternehmerischen Tätigkeiten, denen kein volkswirtschaftlicher beziehungsweise produktiver Mehrwert gegenübersteht – stärker zur finanziellen Absicherung der Staatstätigkeit herangezogen werden.
Was ist überhaupt eine Subvention?
Zu einer umfassenden Konsolidierung gehören neben der Verbesserung der Einnahmen auch die Überprüfung der Ausgaben und der Subventionsabbau, also die Reduzierung steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten und direkter Finanzhilfen. Allerdings muss neben der Definition der Subventionstatbestände auch der Subventionsbegriff neu gefasst werden. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erfasst mit seinem weiten Subventionsbegriff beispielsweise auch Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit. Außerdem ist die Unterscheidung zwischen Zuschüssen für Straßen- und Schienenbau nicht sinnvoll.
Grundsätzlich müssen wir auch bei den Ausgaben zu einer Überprüfung der Staatsaufgaben kommen. Dabei sollte in Zukunft entscheidend sein, ob mit der Übernahme neuer Aufgaben – und damit auch Ausgaben – tatsächlich ein langfristiger und nachhaltiger Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotenzial geleistet wird. Dafür bietet das vom Bundesfinanzministerium und von der Finanzwissenschaft entwickelte Modell der wachstums- und nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben einen viel ver- sprechenden Ansatz. Auch die Tragfähigkeitsanalysen der Staatsverschuldung und die Berichterstattung des Finanzministeriums dazu müssen unbedingt fortgesetzt werden. Nur durch die transparente Darstellung des Konsolidierungserfordernisses wird der politische Druck auch unabhängig vom Ausgang künftiger Wahlen aufrechterhalten.
Das Grundgesetz ist zu zahnlos
Dabei müssen alle staatlichen Ebenen zum Abbau des gesamt(!)staatlichen Defizits einen Beitrag leisten. Um diese Beteiligung abzusichern, ist eine Übertragung der Maastricht-Kriterien als verbindliche Schuldenstandsgrenze in nationales Recht notwendig. Dazu gehört auch die Aufteilung des Defizits zwischen den staatlichen Ebenen einschließlich eventueller Geldbußen in einem Defizitverfahren der EU. Schon 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den Haushaltsnotlagen in Bremen und im Saarland dem Bundestag und Bundesrat eine Änderung der Finanzverfassung zugunsten von Präventionsmechanismen aufgegeben. In einer umfassenden Föderalismusreform besteht dazu nun die einmalige Gelegenheit.
Die europarechtlichen Bedingungen sind heute der wesentliche Konsolidierungsmotor für den nationalen Budgetrahmen. Es ist daher zu überlegen, ob mit einer Verschärfung des nationalen Rechtsrahmens Verschuldungstatbestände definiert beziehungsweise Schuldenstandsquoten oder Obergrenzen eingeführt werden, um das staatliche Defizit zu verringern. Die bisherige Verschuldungsregel im Grundgesetz, wonach die Neuverschuldung die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten darf, hat sich in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht als besonders wirkungsvoll erwiesen.
Erst Vertrauen, dann Wachstum
Überhaupt ist die Rechtfertigung für kreditfinanzierte Investitionen mit der Begründung eines intergenerativen Lastenausgleichs aus zwei wesentlichen Gründen überholt. Erstens: Nachwachsende Generationen partizipieren kaum noch an solchen Investitionen, weil die Gebrauchsdauer immer kürzer wird und eine Grundsanierung die Kosten der Erstanschaffung oftmals übersteigt. Zweitens: Die Kredite zur Finanzierung dieser Investitionen wurden in der Vergangenheit nicht getilgt, sondern ihre Rückzahlung wird mit der Finanzierung der Zinsen über erneute Kredite in die Zukunft verlagert.
Mit einer glaubwürdigen Haushalts- und Finanzpolitik kann die SPD in der neuen Regierung dazu beitragen, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates zu stärken. Sie wird so einen Beitrag zu höherer Nachfrage und damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung leisten. Wenn dies gelingt, kann die Ernüchterung über die Ressortverteilung im Herbst 2005 einer Begeisterung für die politische Zukunftsgestaltung weichen.