Arm mit Althaus

Grüne, Postkommunisten und neuerdings sogar Christdemokraten begeistern sich für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ganz vorn dabei: Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus. Doch das Grundeinkommen ist ein fataler Irrweg

Oft sind die einfachsten Ideen am verführerischsten. Wäre es nicht wunderbar, wenn der Staat alle Sozialleistungen streichen und stattdessen jedem einzelnen Bürger monatlich ein Grundgehalt von 1.000 Euro auszahlen würde – ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung? Für die Unternehmen würde die Arbeitskraft günstiger, und für die Bürger würde sich dank des Grundgehalts auch gering entlohnte Arbeit rechnen. Die Arbeitslosigkeit würde sinken. Weil jeder die Leistung erhalten würde, wären Arbeitslose nicht länger stigmatisiert. Kurz: Die Defizite unseres Sozialstaats wären auf einen Schlag beseitigt.

Was wie ein Hirngespinst klingt, ist mittlerweile ein Vorschlag mit politischer Sprengkraft geworden. Befürworter eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ finden sich bei der PDS, den Grünen und selbst bei der CDU. Ihre jeweiligen Modelle unterscheiden sich vor allem in der Höhe des Transfers: 800, 1.000, 1.500 Euro monatlich. Die wachsende Fangemeinde ändert jedoch nichts an der Tatsache: Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre unfinanzierbar, kaum in die Tat umzusetzen – und zutiefst unsozial.

Der ranghöchste Anhänger des Grundeinkommens in Deutschland ist Thüringens christdemokratischer Ministerpräsident Dieter Althaus. Sein detailliert ausgearbeitetes Konzept für ein „solidarisches Bürgergeld“ sieht 800 bedingungslose Euro für jeden Erwachsenen und 500 Euro für jedes Kind vor. Von diesem Geld gehen jeweils 200 Euro als Gesundheitsprämie ab. Im Gegenzug sollen, mit Ausnahme der Krankenversicherung, alle existierenden Sozialleistungen und Steuervorteile gestrichen werden.

Finanzieren will Althaus seine Sozialrevolution mit einer einheitlichen Einkommenssteuer von 50 Prozent (Flat Tax). Wer mehr als 1.600 Euro verdient, erhält zwar bloß die Hälfte des Bürgergeldes, zahlt dafür aber auch nur einen Steuersatz von 25 Prozent. Kein Druckfehler: Althaus will Menschen mit kleinen Einkommen doppelt so stark besteuern wie Besserverdiener!

Ganz ausdrücklich geht es ihm darum, mit dem „Bürgergeld“ Kernprinzipien des Sozialstaats auszuhebeln. Bisher gilt das Prinzip: Starke Schultern sollen zur Finanzierung des Sozialstaats mehr beitragen als schwache. Ginge es nach Althaus, würden auch diejenigen Bürger zu Transferempfängern, die das Geld überhaupt nicht benötigen. Gleichzeitig entfiele mit der progressiven Einkommenssteuer ein zentrales Umverteilungsinstrument. Diese Logik widerspricht völlig zu Recht dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen in Deutschland. Das hat nicht zuletzt der Bundestagswahlkampf 2005 gezeigt, als Professor Paul Kirchhof mit seiner Flat Tax scheiterte.

 

Investieren statt alimentieren

 

Hinzu kommt, dass die meisten Bedürftigen nach dem Althaus-Modell weniger Geld in der Tasche hätten als heute. So liegen die 600 Euro Bürgergeld netto um rund 23 Prozent unter dem durchschnittlich gezahlten Arbeitslosengeld I von etwa 780 Euro. Selbst ein alleinstehender Empfänger von Arbeitslosengeld II erhält inklusive Wohnkosten derzeit um die 700 Euro. „Die Einkommen durch Hartz IV sind zu hoch“, bekennt Dieter Althaus denn auch freimütig. Sollte Althaus’ Idee in Deutschland also jemals Realität werden, würden die Einkommensunterschiede kräftig zunehmen. Das „solidarische Bürgergeld“ ist ein Verarmungsprogramm.

Schlimmer noch – und das gilt für alle Grundeinkommensmodelle: Das Konzept blendet die Vielschichtigkeit von Armut vollkommen aus. Die heutige Unterschicht leidet keineswegs nur an Geldknappheit, sondern gerade auch an fehlenden Chancen aktiver Teilhabe, an mangelnder Bildung und der „Vererbung“ sozialer Benachteiligung von Generation zu Generation. Die moderne Zufriedenheitsforschung zeigt, dass es nicht Transferzahlungen des Staates sind, die Menschen glücklicher machen, sondern vor allem Erwerbsarbeit, Bildung und ein Leben aus eigener Kraft. Ein sozialer Staat ermutigt, aktiviert und befähigt seine Bürger deshalb zu Partizipation, Leistung, Kreativität. Er investiert in die Fähigkeiten der Menschen, anstatt sie zu alimentieren.

 

Die Mär von der verschwindenden Arbeit

 

Dieter Althaus hingegen will die Säulen der Sozialversicherung (Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Unfall) einfach niederreißen, die Fürsorgesysteme und Maßnahmen zur Arbeitsförderung einstellen. Berufliche Weiterbildung, Ausbildung Benachteiligter, beschäftigungsbegleitende Leistungen – alle staatlichen Hilfen, mit denen die Menschen auf die eigenen Füße kommen sollen, würden abgeschafft. Der Staat zahlt ein Grundgehalt. Der Rest ist Sache der „zur Freiheit berufenen und aufgeforderten Individuen“ (Althaus).

Welch fatale Wirkung diese Politik der bloßen Alimentation haben kann, zeigt das neue „Erziehungsgeld“ der Thüringer Landesregierung. Alle Eltern von Kindern im dritten Lebensjahr erhalten ein „Bürgergeld light“ – einen monatlichen Betrag in Höhe von 150 Euro für das erste, 200 Euro für das zweite und 250 Euro für das dritte Kind. Ihnen steht es frei, sich das Geld auszahlen zu lassen oder damit einen Kindergartenplatz zu finanzieren. Die politisch gewollte Folge: Viele Mütter behalten das Geld ein und bleiben mit den Kindern zu Hause, anstatt arbeiten zu gehen. Weil weniger Kinder die Einrichtungen besuchen, werden Gruppen zusammengelegt und vergrößert; zahlreiche Erzieherinnenstellen fallen weg. Kein Wunder, dass die Thüringerinnen und Thüringer sich nun mit einem Volksbegehren gegen Althaus’ „Herdprämie“ wehren.

Die Befürworter des Grundeinkommens unterstellen, dass Vollbeschäftigung ein Wunschtraum ist. Das ist schon deshalb nachweislich falsch, weil die Erwerbsquoten in anderen europäischen Ländern viel höher liegen als bei uns. Ja, die Arbeitswelt wandelt sich. Aber es gibt genug Arbeit zu tun. Schon jetzt zeichnet sich sogar in Ostdeutschland ein Fachkräftemangel ab. Allein im gesamten Sektor der Dienstleistungen oder im Bereich hochqualitativer Industriegüter entstehen täglich neue Arbeitsplätze. Nur müssen wir mit einer vernünftigen Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass diese Arbeitsplätze überhaupt besetzt werden können – nicht anderswo, sondern hier bei uns. Darüber sollten wir in Deutschland debattieren.

Stattdessen verführt das Bürgergeld zu der Annahme, Arbeit sei etwas, was man je nach Lebensabschnittslaune tun oder eben lassen könne. Mehr noch: Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die gesellschaftlichen Vorstellungen über den Sinn und Wert von Arbeit negativ verändern und die Motivation der Menschen mindern, sich zu qualifizieren.

 

Ökonomischer Analphabetismus in der CDU

 

Tendenziell würden die Bürger ihre Arbeit zugunsten von mehr Freizeit reduzieren. Dadurch würde die Produktivität unserer Wirtschaft sinken, was wiederum geringere Erlöse und steigende Preise zur Folge hätte. Ein Teufelskreis, weil das Grundeinkommen daraufhin erhöht werden müsste. Selbst für das Grundeinkommen gilt eben: Man kann nur das Geld verteilen, welches man zuvor erwirtschaftet hat. Es mutet gespenstisch an, wenn der angeblichen „Wirtschaftspartei“ CDU dieser offenkundige Zusammenhang nicht mehr klar ist.

Dass das Althaus-Konzept den Staat in extreme Finanznöte bringen würde, erkennen auch die Autoren der jüngsten Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zum solidarischen Bürgergeld. Sie bescheinigen dem Modell des Thüringers eine Finanzierungslücke von sage und schreibe 190 Milliarden Euro. Insgesamt würde das solidarische Bürgergeld demnach 740 Milliarden Euro jährlich kosten. Dies entspricht knapp einem Drittel der Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Um diese Summe aufzubringen, so die Studie, müsste der Einkommenssteuersatz nicht bei 50 Prozent für Geringverdiener und 25 Prozent für Besserverdiener liegen, wie Althaus vorrechnet, sondern bei 80 und 30 Prozent. In der Welt des solidarischen Bürgergeldes könnte ein Geringverdiener von einem Euro Gehalt also gerade 20 Cent behalten. Wohlgemerkt, die meisten anderen Modelle sehen ein noch höheres – und damit noch teureres – Grundeinkommen vor.

 

Wo die SPD mehr Selbstbewusstsein braucht

 

Es ist daher nicht zu fassen, dass CDU-Chefin Angela Merkel nun sogar eine parteiinterne Kommission zum bedingungslosen Grundeinkommen einrichten will, deren Vorsitz Dieter Althaus übernehmen soll. Aber auch die Grünen haben Ende 2006 eine Kommission eingerichtet, die verschiedene Modelle „zur Grundsicherung und zum bedingungslosen Grundeinkommen“ prüfen soll. Gleichzeitig versuchen Initiativen wie „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ oder das „Netzwerk Grundeinkommen“, die öffentliche Diskussion über das Thema voranzutreiben.

Die SPD als „Partei der Arbeit“ sollte diese Auseinandersetzung offensiv, selbstbewusst und unerschrocken führen. Dabei wird es nicht ausreichen, genüsslich die unzähligen Widersprüche und falschen Annahmen der Gegenseite auszubreiten. Zusätzlich müssen Sozialdemokraten eigene Antworten auf die drängenden sozialen Probleme buchstabieren, die das bedingungslose Grundeinkommen zu lösen verspricht. Dazu gehören vor allem die schlechten Arbeitsmarktperspektiven für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose, die Krise des Normalarbeitsverhältnisses und niedrige Löhne.

Auch wenn sogar führende Sozialdemokraten das anders sehen: Die SPD braucht sich an dieser Stelle überhaupt nicht zu verstecken. Es war richtig, mit den Hartz-Reformen erwerbsfähige Arbeitslose aus der Sozialhilfe in die aktivierende Arbeitsvermittlung zu holen. 650.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als noch vor einem Jahr sprechen eine klare Sprache.

Die individuelle Förderung von Arbeitslosen müssen wir weiter verbessern. Für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose wollen wir 100.000 Jobs auf dem so genannten Dritten Arbeitsmarkt schaffen. Ältere Langzeitarbeitslose bekommen im Rahmen der „Initiative 50Plus“ neue Chancen auf eine Anstellung. Wir kämpfen für Mindestlöhne. Ferner haben wir eine negative Einkommenssteuer („Bonus für Arbeit“) vorgeschlagen, um die Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener zu senken.

Darüber hinaus ist unser Konzept des vorsorgenden Sozialstaats ein schlüssiger programmatischer Gegenentwurf zum Grundlohn. Die SPD will Arbeitslose und sozial Schwache nicht einfach mit einer Stilllegungsprämie abspeisen. Deshalb investiert der vorsorgende Sozialstaat systematisch in die Fähigkeiten der Menschen, sich wo immer möglich selbst zu helfen – bevor der traditionelle nachsorgende Sozialstaat eingreifen muss. Wir wollen das Humanvermögen, die Kompetenzen und damit die Lebenschancen jedes Einzelnen stärken. Damit schaffen wir zugleich die Grundvoraussetzung für eine wachsende Wirtschaft, die auf exzellent ausgebildete und motivierte Arbeitnehmer dringend angewiesen ist. Nur der vorsorgende Sozialstaat, der Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Integrationspolitik intelligent miteinander vernetzt, kann im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit herstellen.

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