Das Unvollendete
Um den Ruf des "Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" ist es nicht gut bestellt. Dabei sollte es sich eigentlich um das Kernprojekt sozialdemokratischer Regierungsarbeit handeln. Mit ihm wollte sich Rot-Grün deutlich von seinen liberal-konservativen Vorgängern abgrenzen. Deshalb formulierten die Bündnispartner in ihrem Koalitionsvertrag 1998: "Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird die neue Bundesregierung alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren. Wir wollen ein Bündnis für Arbeit und Ausbildung ... Zu diesem Bündnis für Arbeit haben alle Beteiligten in fairem Geben und Nehmen ihren Beitrag zu leisten".
Die Zahl der Arbeitsplätze ist seither zwar gewachsen, die Massenarbeitslosigkeit aber nur leicht gesunken. Es gelang den beteiligten Akteuren in den Jahren 1998 bis 2002 nur partiell, ihre divergierenden Interessen und Deutungsmuster so zu relativieren, dass eine zielführende antagonistische Kooperation - trotz gegenläufiger Interessen ist kooperatives Handeln prinzipiell möglich - hergestellt werden konnte. In einigen Bereichen, etwa im Hinblick auf Jugendarbeitslosigkeit oder Qualifikation, sind Initiativen angestoßen worden. Diese sind aber bislang nicht geeignet, als wirkliche Durchbrüche im Sinne der 1998 gemeinsam deklarierten Zielvorgaben zu gelten.
So hat sich nach vier Jahren Ernüchterung breit gemacht. Die Einschätzungen über das Bündnis reichen von der regierungsamtlichen These von der "respektablen Zwischenbilanz" über die Bewertung, das Bündnis sei harmlos und ineffektiv bis hin zu schroffer Ablehnung, die damit begründet wird, dass der Versuch der Konzertierung den Status quo zementiere oder sogar die Leistungsfähigkeit innerhalb bestehender Politikfelder und Instrumente einschränke. Ist das Bündnis also gescheitert? Hat die Sozialdemokratie mit der Art und Weise, in der sie das Bündnis implementiert und genutzt hat, grundlegende Fehler gemacht? Sind Zweifel an ihrer eigenen Handlungs- und Regierungsfähigkeit angezeigt?
Es geht um sozialdemokratisches Profil
Handlungsleitend für das Bündnis ist die Vorstellung, dass der Wandel durch die Kooperation maßgeblicher gesellschaftlicher Akteure effizienter gestaltet werden kann und mithin weniger Friktionen verursacht werden als durch eine von oben verordnete Strukturpolitik oder eine nur mikroökonomisch fundierte Wachstumspolitik. Zugleich entspringt die Entscheidung für das Bündnis der Tradition des deutschen Modells eines kooperativen Kapitalismus. Es geht aber auch um ein mögliches Identitätsprojekt sozialdemokratischen Regierungshandelns, nämlich um die Fähigkeit zur Integration gegensätzlicher Kräfte in ein neu zu definierendes Politikkonzept. Gerade eine sozialdemokratische Partei sollte in der Lage sein, divergierende Interessen so aufeinander zu beziehen, dass aufgrund vorhandener Interdependenzen eine antagonistische Kooperation möglich wird.
Tatsächlich hat es dreiseitige Bündnisse auf Bundesebene - zuvor bislang nur die Konzertierte Aktion 1967-1977 - allein zu Zeiten sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung gegeben. Ob dieser Prozess erfolgreich sein kann, hängt nicht zuletzt von drei Faktoren ab: Erstens, ob alternative Formen der Entscheidungspolitik mehr Erfolg versprechen. Zweitens, ob die beteiligten Akteure in der Lage sind, die mit diesem Prozess verbundenen Anforderungen an das eigene Handeln zu akzeptieren, ohne ihre Stellung gegenüber der eigenen Mitgliedschaft zu schwächen. Und drittens davon, ob der Staat möglicherweise kompensierend wirken kann, falls die verbandlichen Akteure alleine nicht in der Lage sind, ihre Mitglieder auf ein kooperatives Verhalten festzulegen.
Klar ist, dass die strategische Kompetenz zum politischen Tausch hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellt - vor allem hinsichtlich der Fähigkeit kurz- und mittelfristige Interessen und Ziele auszubalancieren. Besonders hoch sind diese Anforderungen an die Gewerkschaften, die bei solchen Arrangements in der Regel weit mehr Vorleistungen erbringen und Risiken eingehen als die Arbeitgeberseite. Dabei ist aber auch herauszustellen, dass es aus einer strategisch längerfristigen Perspektive nicht nur um aktuell vorzeigbare Ergebnisse und Tauschakte geht.
Punktuelle Reformen genügen nicht mehr
Die Existenz des Bündnisses weist auf Funktionsdefizite der bestehen Institutionenordnung hin. So ist neben einer Leistungskrise der Innovations- und Arbeitsmarktinstitutionen auch eine Steuerungskrise zu konstatieren. Denn aufgrund interdependenter Politikfelder greifen punktuelle Reformen zu kurz, die alleine durch das politische oder nur durch das ökonomische System verantwortet und getragen werden. Oder solche Reformen führen zu nicht intendierten Verwerfungen. Hingegen scheiterte eine umfassendere Koordinationspolitik bislang an der Aufgabe, staatliches, verbandliches und unternehmerisches Handeln miteinander zu verkoppeln.
Bis Anfang der siebziger Jahre herrschte in der Bundesrepublik nahezu Vollbeschäftigung, was sich in einer Reihe günstiger Sekundäreffekte niederschlug - wie etwa in der Einnahme- und Ausgabensituation der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen. Traten dennoch zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf, so war es aufgrund der seinerzeit noch nicht so weit entwickelten wirtschaftspolitischen Integrationstiefe in der EG möglich, mittels national eigenständiger Politik zu reagieren.
Heute finden wir eine grundlegend veränderte Situation vor. Ursächlich hierfür sind der wirtschaftliche Strukturwandel, aber auch in besonderem Maße die Belastungen durch die deutsche Einheit. Zusätzlich entwickelt sich die Bevölkerungsstruktur, volkswirtschaftlich betrachtet, sehr ungünstig, da die sinkendenden Geburtenraten und die steigende Lebenserwartung zu einer deutlichen Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern führt - wodurch über die steigenden Lohnnebenkosten der Strukturwandel beschleunigt wird. Die Vergemeinschaftung zentraler Instrumente der makroökonomischen Politik (Maastricht-Prozess, Europäische Zentralbank) haben ferner dazu geführt, dass eine eigenständige nationale Politik nur noch in eingeschränktem Umfang möglich ist, was im Umkehrschluss zu verstärkten Anstrengungen zur Neujustierung auf der Mikroebene führt. In diesem Kontext kommt der Arbeitsmarktpolitik eine herausragende Rolle zu. Die im Job-Aqtiv-Gesetz und von der Hartz-Kommission eingeführten oder vorgeschlagenen Veränderungen, die zu einer verbesserten Aktivierungsfähigkeit der Arbeitsmarktpolitik beitragen sollen, indem sie auf die je spezifischen qualifikatorischen Bedingungen der einzelnen Arbeitssuchenden eingehen, sind wichtige Beiträge in diesem Sinne.
Das Goldene Zeitalter ist Geschichte
Vergleicht man die heutige Situation des Modells Deutschland mit seinem "goldenen Zeitalter" in den sechziger und Jahren, so ergibt sich folgendes Bild: Aufgrund eines allgemeinen Strukturwandels der Wirtschaft ist im Bereich des industriellen Sektors eine große Anzahl von Arbeitsplätzen verloren gegangen, ohne dass das starke Anwachsen des Dienstleistungsbereichs diesen Verlust kompensieren konnte. Ferner haben die gleichen Kräfte, die den Strukturwandel im sekundären Sektor ausgelöst haben, auch nachhaltig auf den Dienstleistungssektor gewirkt. So sind im Gefolge technischer Innovation und verschärfter internationaler Konkurrenz einfache, arbeitsintensive Dienstleistungen nur dann entstanden, wenn sie - wie etwa im Fall von Servicekräften - lokal erbracht und konsumiert werden. Zusätzlich verschärft wird das Arbeitslosenproblem durch qualifikatorische "mismatches", die es den Erwerbslosen schwer machen, aus dem industriellen Sektor in den Dienstleistungsbereich zu wechseln.
Diese Entwicklung schlägt sich in der Entwicklung der Arbeitslosenquote nieder. Kann für die sechziger und frühen siebziger Jahre bei einigen Schwankungen noch nahezu Vollbeschäftigung konstatiert werden, so stieg die Zahl der Erwerbslosen bereits Mitte der siebziger Jahre - bei einer leicht höheren Erwerbsquote als in den siebziger Jahren - steil an und erreicht heute den Spitzenwert von neun Prozent. Die früher günstigen Rahmenbedingungen (hohes Wachstum, Vollbeschäftigung) ermöglichten eine Art "Tugendkreis" sich gegenseitig verstärkender Entwicklungen: Erfolgreiche Wirtschaftspolitik verbesserte die Chancen auf dem Weltmarkt, Wachstum und Vollbeschäftigung führten zur sozialen Integration der Gesellschaft - was wiederum Ausgleich und Konsens förderte. Zusätzlich erlaubte die geringe wirtschaftspolitische Integrationstiefe der EG eine national eigenständige Fiskal-, Finanz- und Währungspolitik, um auf Konjunkturkrisen mit makroökonomischen Rezepten zu reagieren. Diese Zeiten sind vergangen - und werden auch nicht mehr wiederkehren.
Was das Bündnis geleistet hat
Das Bündnis sollte der Ort sein, um neue Lösungen aktueller Strukturfragen zu organisieren. Obwohl diese Institution weder durch einen Verfassungsauftrag noch mit einem umfänglichen Apparat ausgestattet wurde, handelt es sich um eine durchaus öffentlichkeitswirksame Instanz. Sie kann deutlich vernehmbar signalisieren, welche Themen wichtig, welche tabuisiert oder verhandelbar sind und worin die zentralen Konflikte zwischen den Interessengruppen bestehen. Gerade die Fähigkeit, ein vergleichsweise hohes Maß an Öffentlichkeit zu den kontroversen Richtungsthemen der Republik herzustellen, ist ein demokratiepolitisches Verdienst des Bündnisses, das nicht gering zu veranschlagen ist. In den acht Spitzengesprächen wurden Grundlinien der Arbeit auf den Feldern der Arbeitsmarkt-, Sozialversicherungs- und Wettbewerbspolitik festgelegt, die durch eine Fülle von Arbeitsgruppen und sonstiger Aktivität unterfüttert wurden.
Betrachtet man den Gang der Dinge, so fällt auf, dass mit fortschreitender Dauer immer weniger Treffen stattgefunden haben. Die ersten fünf der insgesamt acht Spitzengespräche fanden innerhalb der ersten 13 Monate statt. Anfänglich war ein vierteljährlicher Turnus geplant, 2001 und 2002 fand nur noch jeweils ein jährliches Treffen statt. Wo liegen die Gründe für diese Entintensivierung der Kooperationspolitik in der Arena des Bündnisses? Als schwere Hypothek erwies sich vor allem die starke Konzentration auf die Tarifpolitik. Nachdem in den ersten 13 Monaten durchaus einige Themen bewegt werden konnten, führte die Verabredung vom 9. Januar 2000, also im Vorfeld der Tarifrunde, zu folgenschweren inner- und zwischengewerkschaftlichen Konflikten, die das gewerkschaftliche Engagement stark einschränkten.
Verschärft wurden diese Probleme dadurch, dass Themen, die ihrem Charakter nach im Bündnis hätten verhandelt werden können, den parlamentarischen Raum nicht oder nur partiell verließen. Dazu zählen die Rücknahme der Gesetzesänderungen der CDU/FDP von 1996, die außerhalb des Bündnisses rückgängig gemacht wurden. In vergleichbarer Weise wurde mit der Steuer- und Rentenpolitik verfahren, ebenso mit dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Teilzeitgesetz. All diese Gesetze sind dem direkten Tauschprozess innerhalb des Bündnisses entzogen worden, weil sie dieses zum damaligen Zeitpunkt vermutlich überfordert hätten und sich zudem problematische Konsequenzen für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Raumes andeuteten.
Doch es gibt auch Themen, die im Bündnis erfolgreich behandelt wurden. Als erstes sind solche zu nennen, die die Regierung auch alleine hätte bearbeiten können, weil dem keine Veto-Option des Parlaments oder des Bundesrates entgegenstand. Das war etwa beim Jump-Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit der Fall. Zweitens konnte dann etwas erreicht werden, wenn sich die Tarifverbände einem Thema gegenüber von vorneherein konsensual verhielten und deshalb auch ohne ein Bündnis handlungsfähig waren. Besonders prägnant war dies in den Fragen der Ausbildungs- und Qualifikationsförderung. Drittens funktionierten auch solche Themenfelder, wie die Altersteilzeit, bei denen erst durch die Kooperation zwischen Staat und Verbänden eine tragfähige Lösung herzustellen war. Letztlich erfolglos blieben alle Initiativen, bei denen den Unternehmen, als Adressaten der Bündnispolitik, quantitative Vorgaben gemacht wurden. Besonders deutlich wurde das beim Thema Überstundenabbau. Unter dem Gesichtspunkt der Typisierung kann man sechs Themendimensionen unterscheiden:
1. Staatszentrierte Themen: Jugendarbeitslosigkeit
2. Verknüpfungsthemen: Altersteilzeit
3. Weiche tarifpolitische Konsensthemen: Qualifikation
4. Thematisierungsfelder: Ostdeutschland
5. Belastungsthema: Eingriff in die Tarifverhandlungen
6. Ambivalente Themen: Niedriglohnsektor
Zu den Erfolgen des Bündnisses gehört, dass sich in vielen Bundesländern Landesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften zu regionalen Bündnissen und Beschäftigungspakten zusammengefunden haben, und zwar unabhängig von der politischen Orientierung der jeweiligen Landesregierung. Ganz formal kann festgestellt werden, dass das Bündnis bislang nicht gescheitert ist - was mit Blick auf die längerfristige Perspektive bereits als Erfolg zu werten ist. Für diese Bewertung spricht, dass sich die Opposition bereits in einem frühen Stadium ihre Kampagne darauf festgelegt hat, diese Institution nach einem eigenen Wahlsieg fortzuführen. Zumindest auf der Ebene der symbolischen Politik wird dem Bündnis also ein Gebrauchswert zugesprochen, der mit der noch immer großen öffentlichen Akzeptanz für koorperative Formen der Politik korreliert.
Wie soll es weitergehen?
Der Gang der Debatte ist bisher dadurch gekennzeichnet, dass die Akteure auf der zentralen Ebene des Bündnisses die Fähigkeit zum Kompromiss bewiesen haben. Selbst die zuweilen hoch emotionalisierten Debatten über Lohnleitlinien, den Niedriglohnsektor und die Reform des Rentensystems haben nicht verhindert, dass ein pragmatischer Konsens zustande kam, der zumindest die beteiligten Akteure nicht überforderte, zugleich aber eher am Status quo orientiert war. Ausdrücklich nicht gelungen ist die Herausbildung einer irreversiblen Reformagenda und -strategie.
Wie geht es weiter? Das Bündnis hat gezeigt, dass es eine mögliche längerfristige Strategie sein kann, um die spezifischen Vorteile des Modells Deutschland als eines verhandelten und koordinierten Kapitalismus zu stärken und seine Schwächen gezielter zu beheben. Dabei darf das Bündnis nicht ausschließlich und im engeren Sinne gegenwartsbezogen und "outputorientiert" bewertet werden. Denn bei den dreiseitigen Arrangements im Verhandlungssystem der Bundesrepublik mit seinen verschiedenen Ebenen handelt es sich um eine Arena, die nicht alleine an den dort verhandelten Gegenständen und Ergebnissen gemessen werden kann. Vielmehr müssen Arbeitsweisen und Wirkungen umfassender verstanden werden, wobei ein Mix von symbolischen und materiellen politischen Prozessen stattfindet. Deshalb bietet es sich an, von komplexen Institutionen des generalisierten politischen Austauschs zu sprechen.
In der Bundesrepublik ist erst zweimal eine dreiseitige Verhandlungspolitik zustande gekommen. Das belegt, dass die tief verwurzelten kooperativen Traditionen und die vergleichsweise starken organisationspolitischen Strukturen der deutschen industriellen Beziehungen noch keine hinreichenden Voraussetzungen für ambitionierte, politikfeld-übergreifende, institutionalisierte Bündnispolitik sind. Es bedarf anscheinend einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung und eigenständiger Initiativen der Verbände, damit solche Projekte realisiert werden können.
Konsens in Zeiten des Umbruchs
Dabei geht es heute vordringlich darum, das deutsche Innovations- und Qualifikationsmodell an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, die Durchlässigkeit des deutschen Arbeitsmarktes für die unteren Gruppen zu verbessern und insgesamt eine neue Dynamik des Arbeitsmarktes auf dem tertiären Sektor zu ermöglichen. Gerade weil die Politik des generalisierten politischen Tauschs an die Akteure höhere Anforderungen stellt als einfache politische Tauschakte, haben die Verbände und staatlichen Akteure eine Herkulesarbeit zu leisten, die durch die Kurzatmigkeit der modernen "Teledemokratie" weiter belastet wird. Wie überhaupt der wettbewerbsorientierte Gegenwartsbezug, der durch Mitgliederlogik, Wahlen und Tarifverhandlungen ausgelöst wird, außerordentliche Anforderungen an eine zukunftsorientierte Strategie stellt.
Das Bündnis für Arbeit kann in der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchsituation einen Beitrag zur Festigung von Demokratie und Konsens in Deutschland leisten. Es kann zu einer wechselseitigen Entlastung von Staat und Verbänden beitragen und die Suche nach neuen Regulationsmustern erleichtern. Das Bündnis braucht sich in Deutschland nicht auf die Ebene der Tarifpolitik einzulassen. Das erledigen die Verbände alleine. Versucht man den dort in Gang gesetzten Reformprozess in der Tarifautonomie von außen zu beschleunigen, dann kann dies die möglichen und notwendigen Aktivitäten auf den Gebieten von Innovations und Qualifikation eher verlangsamen. Genau auf diesen Feldern aber könnte das Zentrum bündnispolitischer Aktivitäten liegen, um unter den Bedingungen von Europäisierung und deutscher Einheit wieder mehr Dynamik und Integrationskraft zu entfalten.
Strategische Kompetenz wird nötig sein
In den vergangenen vier Jahren hat sich das Bündnis weder zu einem Kern- noch zu einem Identitätsprojekt sozialdemokratischer Regierungskunst entwickelt. Das ist bedauerlich. Denn der Bündnisansatz weist nicht nur theoretisch, sondern auch institutionell, thematisch und strategisch in die richtige Richtung. Für eine sozialdemokratische Regierung kann die Bündnispolitik ein Markenartikel werden. Dafür braucht man angesichts komplexer Beteiligungs- und Entscheidungsprozeduren eine mindestens mittelfristige Strategiekompetenz. Zu dieser zählen auch der Wille und die Fähigkeit, eine als suboptimal erkannte Politik zur Disposition zu stellen. Vor allem muss die aktive Rolle des Staates unter den Bedingungen von Globalisierung, Europäisierung und sozialem Wandel wieder ernsthafter reaktiviert werden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die zumindest latent als immerwährende Anfrage an die Unterscheidbarkeit der SPD im Parteienwettbewerb gestellt werden, bedarf es mehr als nur des situativen Reagierens. Unter diesen Bedingungen könnte sich sozialdemokratische Regierungskunst daran orientieren, reflexives, responsives und kooperatives Regieren als identifikationsfähigen Politikstil in der sozialdemokratischen Tradition zu verankern und zu vermitteln. Durch ein neues Bündnis könnte versucht werden, diesen abstrakten Anspruch in die Wirklichkeit umzusetzen. Augenblicklich haben wir es bei dem Bündnis nicht nur mit einem unvollendeten, sondern auch mit einem neu zu justierenden Projekt zu tun. Das Bündnis muss neu gedeutet, neu inspiriert und neu gestartet werden. Und niemand außer der Sozialdemokratie selbst ist dazu in der Lage. Das Bündnis ist ihr (unvollendetes) Projekt.