Die Zukunft der Arbeit in der Welt der digitalen Maschinen
Die Arbeitswelt steckt im Umbruch. Die Digitalisierung verändert Arbeitsplätze, Betriebsabläufe und Produktionsprozesse. Schon wird ein „zweites Maschinenzeitalter“ beschworen und die Frage gestellt, ob dieses zu einer neuen Rationalisierungswelle mit dem Verlust hunderttausender Industriearbeitsplätze oder zu einem neuen Wirtschaftswunder führen könnte. Klar ist: Das zweite Maschinenzeitalter stellt vor allem die Arbeitnehmer vor neue Herausforderungen – nicht zuletzt, weil neue Anforderungen immer schneller bewältigt werden müssen.
Die sich anbahnende neue Arbeitswelt bietet sowohl Chancen als auch Risiken. Gewerkschaften und Sozialdemokratie stehen damit vor der Aufgabe, die Lage nüchtern zu analysieren. Negative Entwicklungen müssen frühzeitig erkannt und ihnen muss mit entsprechenden Regelungen begegnet werden. Gleichzeit sind innovative Potenziale zu nutzen. Nur so lässt sich der strukturelle Wandel aktiv gestalten. Dieser Artikel will erste Antworten für die notwendige politische Strategie formulieren.
Homeoffice und Telearbeit als neue Norm
Der Umbruch der Arbeitswelt durch die Digitalisierung hat neue Formen des Arbeitens geschaffen: ständige Erreichbarkeit durch mobiles Internet, breitbandversorgtes Homeoffice/Telecommuting, Crowdsourcing, Cloud working und technologisch enger vernetzte Wertschöpfungsketten (Industrie 4.0) – so lauten die entscheidenden Stichwörter. Homeoffice und Telearbeit könnten zur neuen Norm werden. Die Autoren des „Citrix Workplace of the future report 2012“ prognostizieren, dass Unternehmen weltweit ihre Büroflächen bis zum Jahr 2020 um rund 14 Prozent reduzieren werden. Am Arbeitsplatz der Zukunft wird es im weltweiten Durchschnitt nur noch 6,7 Schreibtische pro zehn Mitarbeiter geben; in Deutschland sollen es nach der Umfrage 7,9 feste Arbeitsplätze je zehn Mitarbeiter sein. Der herkömmliche Büroarbeitsplatz bekommt Konkurrenz: Nur noch rund die Hälfte (Deutschland: 53 Prozent, weltweit: 67 Prozent) der Mitarbeiter werden laut der Citrix-Studie vorwiegend von dort aus arbeiten. Schon heute nutzen 46 Prozent der Befragten in Deutschland (weltweit: 58 Prozent) die größere Flexibilität innerhalb des Unternehmensgeländes und arbeiten an verschiedenen Orten innerhalb der Firma. Auch öffentliche Orte wie Cafés oder Flughäfen sind bereits zunehmend zum Arbeitsplatz geworden. Die Reisezeit in öffentlichen Verkehrsmitteln, Flugzeugen oder dem Auto werden künftig laut der Umfrage 60 Prozent (weltweit: 68 Prozent) der Mitarbeiter für ihre geschäftlichen Aktivitäten nutzen.
Die digitalisierte Arbeitswelt wird also immer flexibler. Diese Entwicklung bietet große Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; sie birgt aber auch große Risiken. Für den permanent erreichbaren Arbeitnehmer werden die Grenzen zwischen „privat“ und „beruflich“, Arbeits- und Freizeit immer durchlässiger. Schon jetzt erledigt jeder zweite Berufstätige Berufliches auch außerhalb der Arbeitszeit.
Diese Entwicklung führt dazu, dass Arbeitnehmer zunehmend die eigenen Organisatoren ihrer Arbeit werden. Abhängig Beschäftigte entwickeln sich quasi zu Selbständigen, sie werden „Arbeitskraftunternehmer“. Dies hat direkte Auswirkungen auf das Qualitätsprofil der Arbeitnehmer: Kompetenzen wie Selbstmanagement und die Fähigkeit zur Abgrenzung von der Arbeits- und Informationsflut werden immer wichtiger – unabhängig von der Branche und Position im Arbeitsleben.
Durch die Entgrenzung der Arbeit, Arbeitszeitverdichtung und steigende Anforderungen nehmen das Burnout-Syndrom und andere psychische Erkrankungen deutlich zu. Wie der AOK-Fehlzeitenreport belegt, steigen die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen unaufhörlich, alleine von 2002 bis 2012 um 66,6 Prozent.
Die Ergebnisse des DGB-Index „Gute Arbeit 2012“ bestätigen, dass arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck in den vergangenen Jahren in fast allen Bereichen und Branchen zugenommen haben. Die Hälfte der Befragten fühlt sich bei der Arbeit gehetzt. 44 Prozent der Beschäftigten fühlen sich „sehr häufig“ oder „oft“ durch die Arbeit leer und ausgebrannt. Schätzungen der Krankenkassen zufolge belaufen sich die jährlichen direkten und indirekten Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen in Deutschland auf 43 Milliarden Euro.
Die Aktualisierung des DGB-Indizes 2013 zeigt, dass sich die Situation in den Betrieben noch einmal verschlechtert hat. Zwei von drei Beschäftigten geben in der Repräsentativumfrage an, dass die Arbeitsintensität für sie in den letzten 12 Monaten ein weiteres Mal gestiegen ist.
Ganze Berufe sterben aus
Als „Industrie 4.0“ werden die aktuellen maßgeblichen Veränderungen in den industriellen Produktionsprozessen bezeichnet, die bis hin zu vollständig computergesteuerten Produktionsabläufen führen. Die deutsche Industrie ist auf dem Weg, ein „Leitmarkt für digitalisierte Fertigung“ zu werden. Cyber-physische Systeme vernetzen Mensch und Maschine und entwickeln die Fabrik der Zukunft: Vernetzte Maschinen steuern Produktions- und Logistikprozesse, zentrale Produktionsstandorte können deutlich reduziert und die Montage noch stärker dezentralisiert werden. Trotz industrieller Fertigung bestimmen Konsumenten in der kundenindividuellen Massen-fertigung das Endprodukt.
Digitalisierung und Globalisierung führen dazu, dass Unternehmen zu einem Teil global vernetzter Informations- und Produktionssysteme werden. Dadurch rücken auch die Arbeitsmärkte der Welt zusammen. Dies ermöglicht weltweite Flexibilität. Durch die Verschiebung am Kostenfaktor Personal und der damit zusammenhängenden Zunahme atypischer und prekärer Beschäftigung in den vergangenen Jahren steigt zudem das Drohpotenzial gegenüber Belegschaften, Betriebsräten und Gewerkschaften. Zum einen müssen sich die Arbeitnehmer den neuen Rahmenbedingungen an ihrem Arbeitsplatz anpassen. Zum anderen führt diese Entwicklung dazu, dass ganze Berufe aussterben – und zwar im mittleren Qualifikations- und Entgeltsegment, also dort, wo die meisten deutschen Arbeitnehmer beschäftigt sind. Notwendig sind somit eine umfassende Qualifizierung und Einbindung der Beschäftigten in den betrieblichen Gestaltungsprozess und eine Anpassung betrieblicher Mitbestimmung an die digitalisierte Arbeitswelt. Wer von der Digitalisierung der Arbeitswelt spricht, darf also von neuen und erweiterten Formen der Beteiligung und Mitbestimmung nicht schweigen.
Der internationale Wettbewerb macht sich auch auf dem Gebiet der Arbeitszeit bemerkbar. Die immer größere Bedeutung des maschinengebundenen fixen Kapitals zeigt sich in einer deutlichen Zunahme von Wochenend- und Schichtarbeit. Im Jahr 2011 arbeiteten 24,5 Prozent aller Beschäftigten auch samstags, während es im Jahr 1996 noch 18,8 Prozent gewesen waren. Der Anteil der Personen, die nachts arbeiten, erhöhte sich im selben Zeitraum von 6,8 auf 9,6 Prozent. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Durch die Nutzung der Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz hat sich der Anteil der Beschäftigten, die an Sonntagen arbeiten, in den letzten Jahren deutlich erhöht. Dem Statistischen Bundesamt zufolge arbeiteten im Jahr 1991 etwa 20 Prozent der Beschäftigten Sonntags, im Jahr 2010 waren es bereits rund 30 Prozent der Beschäftigten.
Diese Veränderungen der Arbeitswelt betreffen alle Arbeitnehmer, egal ob jung oder alt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist jedoch besonders bedeutsam, wie die alternde Erwerbsbevölkerung in diesen Wandel eingebunden wird. Es geht also auch darum, altersgerechtes Arbeiten zu ermöglichen und Weiterbildungs- und Qualifizierungskonzepte für das lebenslange Lernen zu entwickeln. Und besonders für Gewerkschaften und die Sozialdemokratie geht es darum, Arbeitsplätze, Arbeitsabläufe und Personalpolitik künftig so zu gestalten, dass dem Fachkräftemangel präventiv entgegengewirkt wird.
Neben den hoch technologisierten Produktionsabläufen bleibt die klassische Produktion erhalten, die in einigen Bereichen allein fortbesteht oder neben sie tritt und sie ergänzt. Dieses Nebeneinander von Alt und Neu wird noch eine Weile andauern. Alle hier genannten Herausforderungen werden die neue Arbeitswelt prägen, insbesondere mit Blick auf die betrieblichen Abläufe.
Humanisierung der Arbeitswelt 2.0
Weil die Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt gewaltig sind, bedürfen sie einer Arbeitspolitik, die an vielen Stellen ansetzt. Es ist deshalb angemessen, darauf hinzuweisen, dass Gewerkschaften und Sozialdemokratie eine neue Strategie benötigen, um auf die Entwicklungen der „Arbeit 4.0“ zu reagieren.
Die bisherige Politik richtete sich auf die Beseitigung der unerwünschten Nebeneffekte der Reformpolitik der vergangenen Jahre. Der Mindestlohn, Equal pay und die Eindämmung von prekärer Beschäftigung sind wichtige Ziele. Die Digitalisierung der Arbeitswelt bedarf jedoch weiterer Elemente. Hauptaufgabe von Gewerkschaften und Sozialdemokratie ist es, das digitale Zeitalter für alle Beschäftigten fortschrittlich und sozial zu gestalten. Die dynamische Veränderung der Arbeitswelt muss von Anfang an von den Beschäftigten, den Gewerkschaften sowie von Betriebs- und Personalräten mitgestaltet werden.
Vor diesem Hintergrund plädieren wir dafür, mit Analy-sen zu beginnen, die das Potenzial der weiteren Veränderung der Arbeitswelt mit ihren Risiken und Chancen thematisieren. Um dieser Dimension mit angemessenen strategischen Positionen zu begegnen, brauchen Gewerkschaften und Sozialdemokratie eine neue Debatte über eine zukunftsweisende Arbeitspolitik. Eine der zentralen Antworten besteht darin, die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu fördern. Hans Matthöfer hat in einem programmatischen Buch in den siebziger Jahren für eine „Humanisierung der Arbeitswelt“ geworben. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Arbeitswelten stellt sich diese Frage heute erneut. Aber dieser Zugang alleine ist unzureichend, um den neuen Herausforderungen wirklich etwas entgegensetzen zu können. Es geht auch um den Rahmen, der Beschäftigung und Lebenszeit in Zukunft strukturieren wird. In diesem Sinne sind die „Zukunft der Arbeit“ und die „Zukunft der Demokratie“ stärker denn je aufeinander zu beziehen. Ziel ist es, für die Beschäftigten mehr Chancen zu eröffnen, um Arbeits- und Lebenszufriedenheit zu steigern, worin auch die Basis für mehr Demokratiezufriedenheit bestehen sollte. Die Arbeitgeber profitieren davon, weil sie nur so die Produktivität und Qualitätsarbeit bekommen, die sie benötigen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Die anvisierten Produktivitätssprünge werden auch in einer stärker technologiebasierten Arbeitswelt kein Selbstläufer sein, sondern in entscheidendem Maße von der Motivation und Arbeitsfähigkeit der Erwerbstätigen eines Landes oder einer Region abhängen. Dies alles hat darüber hinaus wesentliche Auswirkungen auf die Balance der sozialen Sicherungssysteme und auf die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
Die neuen Potenziale des Fortschritts nutzen
Außerdem müssen Konzepte gefunden werden, um die psychische Drucksituation zu entschärfen, die mit dem information overload und den Anforderungen einhergehen, Wissen immer schneller zu gewinnen und Entscheidungsprozesse zu verkürzen. In einer Anti-Stress-Verordnung sollten klare und verpflichtende Regelungen für den Umgang mit arbeitsbedingten psychischen Belastungen getroffen werden. Ferner ist auch in diesem Bereich die Mitbestimmung zu erweitern.
Wir benötigen einen gesellschaftlichen Konsens über ein „Recht auf Unerreichbarkeit“, um die Trennung zwischen Beruf und Freizeit wieder zu festigen. Positive Beispiele dafür finden sich vor allem in der Industrie. Die Antworten auf die digitalisierte Arbeitswelt müssen auch Konzepte zur Steigerung des lebenslangen Lernens umfassen. Die berufliche und betriebliche Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung dafür, die Qualifikationen der Beschäftigten zu erhalten und an aktuelle Anforderungen anzupassen.
Fazit: Wir befinden uns inmitten eines massiven Umbruchs der Gesellschaft und der Arbeitswelt. Immer wieder hat es in der Geschichte der Arbeitswelt große Veränderungen gegeben. Jede Neuerung, jeder Fortschritt hat neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet. Negative Folgen sind indes nicht ausgeblieben. Der Fortschritt führte in vielen Bereichen zum Verlust von Arbeitsplätzen, denen allerdings zusätzliche Jobs in neuen Bereichen gegenüberstanden. Daher darf die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht eindimensional betrachtet werden. Beginnen könnte man mit neuen Projekten zur „Humanisierung der Arbeit“, um die Potenziale des Fortschritts zu nutzen und gleichzeitig Fehlentwicklungen und Risiken einzugrenzen oder – wenn möglich – zu verhindern.
Sich nur auf solche Projekte zu konzentrieren, wäre aber zu wenig. Parallel zur digitalisierten Arbeitsweise brauchen wir eine grundlegend neu zu bestimmende Rolle der Menschen in der Arbeitswelt durch mehr Beteiligung. Denn nie zuvor waren die Menschen besser ausgebildet als heute, und nie zuvor hingen die Arbeitsergebnisse stärker von der schöpferischen Kraft der Beschäftigten ab. Wenn das nicht das Tor für das Zeitalter der Beteiligung ist!